17. Sparkassen Bundesliga Cup 2020: Der Coach, dem die Talente glauben

Vom 17.07.2020 – 19.07.2020 findet der 17. Sparkassen Bundesliga Cup der A-Junioren im Optima Sportpark statt. Wieder dabei ist der FC Schalke 04, mit dem erfolgreichsten A-Juniorentrainer der Bundesliga, Norbert Elgert. Norbert Elgert will nicht nur Profis, sondern auch Menschen ausbilden – Wertevermittlung ohne erhobenen Zeigefinger. 

Der Coach, dem die Talente glauben.

Von Harald Pistorius
(Neue Osnabrücker Zeitung)

„Ich freue mich, dass Sie gekommen sind.“ Ein kräftiger Händedruck, ein fester Augenkontakt, ein freundliches Lächeln. So wird man von Norbert Elgert willkommen geheißen. Bei grünem Tee, Mineralwasser und Kaffee beginnt ein offenes, konzentriertes Gespräch über Nachwuchsfußball. Kein Handy liegt auf dem Tisch, knapp zwei Stunden ist Elgert nur für den Gast und das Thema da. Mit Interesse, Begeisterung und Überzeugungskraft. Es macht Spaß zuzuhören, er lässt sich ein auf die Fragen und möchte verstanden werden. Nur einmal bin ich etwas abgelenkt: An wen erinnert er mich bloß?

Seit 1996 ist Elgert A-Jugendtrainer in der Knappenschmiede, wie das Nachwuchsleistungszentrum des FC Schalke 04 heißt. In dieser Zeit hat er etwa 100 Talenten so ausgebildet, dass sie zu Bundesligaprofis wurden, etliche machten internationale Karrieren. Manuel Neuer, Mesut Özil, Benedikt Höwedes, Thilo Kehrer, Julian Draxler, Leroy Sane, Max Meyer – die Liste ist noch viel länger.
„Jeder kann sich ausmalen, welche Mannschaft Schalke heute hätte, wenn fünf, sechs der Jungs, die inzwischen in der Weltspitze angekommen sind, noch königsblau tragen würden“, sagt Elgert. Das tue ihm als bekennendem Fußball-Romantiker natürlich weh, aber das sei der Lauf der Zeit: „Man muss das Positive sehen: Sie haben dem Verein sportlich und dann auch finanziell geholfen.“
Kein anderer Bundesligist hat in den letzten 20 Jahren aus den eigenen Talenten so viele Profis herausgebracht. Das muss mit Elgert zu tun haben, auch wenn der stets darauf verweist, in der Knappenschmiede Teil eines guten Teams zu sein.
Fast reflexhaft drängt sich jedem, der sich mit dem Schalker Jugendtrainer beschäftigt, die Frage auf: Warum ist er nicht längst Chefcoach in der Bundesliga? Oder Nachwuchsmanager eines Weltvereins? Oder DFB-Trainer?
Wer länger als ein Viertelstündchen mit Elgert über seine Arbeit spricht, sieht die Antwort klar wie Kristall vor sich: Weil er gar nichts anderes sein will. Da sitzt einer, der keinen Beruf, sondern seine Berufung gefunden hat: „Ich habe das nie in mir gespürt, dass ich unbedingt Bundesligatrainer werden will oder sein muss. Ich habe immer deutlich mehr Sinn in der Ausbildung gesehen; darin, jungen Menschen zu helfen, ihre Ziele und Träume zu verwirklichen und dabei auch Wert und Sinn in ihrem Leben zu finden.“
Wenn man das so liest, ohne Elgert zu sehen, dann klingt das vielleicht ein bisschen phrasenhaft, nach dem Fußball-Wort zum Sonntag. Will man also wissen, wie Coach Elgert das im Alltag praktiziert, hört man den Spielern zu. Für sein Buch „Gib alles – nur nie auf!“ haben einige in Gastbeiträgen aufgeschrieben, was Elgert ihnen mitgegeben hat.
„Er hat bei mir einen Reifeprozess angeregt, für den ich ihm ewig dankbar bin“, sagt Ralf Fährmann und erzählt, wie er mal mit einer auffälligen Tribal-Frisur zum Spiel kam. „Er raunte mir nur zu: Ich würde an deiner Stelle lieber durch Leistung auffallen als durch irgendwelche Frisuren. Ich wusste sofort, dass er recht hatte.“ Manuel Neuer hat eine Elgert-Maxime in sein tägliches Ritual aufgenommen: „Seither fordere ich von mir: Sei jeden Tag der beste Manuel Neuer, den es gibt.“
Joel Matip erinnert sich, dass Elgert ihn nach seinem ersten Bundesligator, als ihn alle umschwärmten, anrief und davor warnte, abzuheben: „Er hat es geschafft, uns Selbstvertrauen bei gleichzeitiger Demut zu lehren.“ Philipp Max dankt dem „Trainer mit dem großen Herzen“ und sagt: „Ich hatte viele Trainer, aber es sind die Werte von Norbert Elgert, die mich in guten Phasen auf dem Boden halten und in schlechten Kraft und Motivation tanken lassen“. Julian Draxler erinnert sich, dass Elgert ihn anrief als alle Welt ihn als „Söldner“ und „Abzocker“ verurteilte: „Ich habe im Haifischbecken Fußball nur wenige kennengelernt, die so ehrlich und fair mit sich selbst und anderen umgehen.“
Benedikt Höwedes („Er ist zum Freund geworden, den ich bei Problemen zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen kann“), Leroy Sané („Er ist der Meister des gepflegten Arschtritts – und das ist ein Riesenkompliment“) und Mesut Özil („Er lehrte uns Ehrlichkeit und war wie ein moralischer Kompass; neben José Mourinho der wichtigste Trainer meiner Laufbahn“) kommen zu Wort – und ein gewisser Christian Melchner schreibt: „Er ist bis heute in meinem Kopf. Wie ein kleiner, heimlicher Motivator, der mich noch immer antreibt, obwohl er gar nicht mehr in Wirklichkeit so oft da ist.“ Melchner war eines der vielen Talente, die es nicht bis ganz oben schafften. Er hat nach dem Zivildienst studiert und steht im Berufsleben.
„Es ist nicht unser ausschließlicher Auftrag, Fußballprofis auszubilden. Wir bilden Profis fürs Leben aus“, sagt Elgert, „es geht bei uns nicht um die drei, vier Prozent, die durchkommen. Die meisten schaffen es nicht, aber auch sie sollen unsere Schule des Lebens ebenfalls als Gewinner verlassen. Mich macht es genauso stolz, wenn ich mal wieder erfahre, dass einer unserer Jungs in einem anderen Beruf erfolgreich ist.“
Elgert will Bewusstsein für Werte vermitteln, fordert Bescheidenheit, lebt soziale Kompetenz vor. Und das alles ohne erhobenen Zeigefinger, sondern mit einer klaren Sprache und plastischen Bildern. Der Autodidakt Elgert hat alles verschlungen, was er an Büchern über Menschenführung und Motivation in die Hände bekam; aus dem Jungen, der sich der Schule eher verweigerte, wurde ein Mann, der Lust bekam am Lernen, als es kein Zwang mehr war, und dessen Bildungshunger bis heute nicht gestillt ist.
Der Mann passt in keine Schublade. Ob man ihn für einen Gutmenschen oder einen Wertkonservativen hält, ist ihm genauso gleichgültg wie Witzeleien über seine etwas altmodische Frisur. Egal, was er sagt oder tut – es ist echt und authentisch. Als er 2013 vom DFB als Trainer des Jahres ausgezeichnet wurde, stellte er seine Frau Conny in den Mittelpunkt seiner Rede: „Ohne sie wäre ich nur ein armer Hund ohne Halsband.“
In seiner plastischen Sprache erinnert er manchmal an den großen Otto Rehhagel; wie er hat Elgert nicht nur Botschaften, sondern kann sie verständlich an den Fußballer bringen. Er schätzt die modernen Methoden der Datenerfassung und Trainingssteuerung, aber er betont: „Wir sind Menschen aus Fleisch und Blut, wir sind keine Zahlenreihen. Wir haben eine Seele, nicht nur einen Körper. Wir Trainer müssen immer auf der Höhe der Entwicklung sein, ohne Zahlen und Daten kommen wir nicht mehr aus. Aber ohne Empathie ist das alles – nichts. Wenn wir die Informationsflut nicht filtern, hast du als Trainer einen dicken Kopf, in dem nur noch die linke Gehirnhälfte arbeitet, weil die rechte, aus der Empathie und Emotionen kommen, gar nicht mehr zum Zug kommen. Wir gehen mit Menschen um, deshalb brauchen wir Einfühlungsvermögen und Bauchgefühl. Ob das modern ist oder nicht, interessiert mich nicht.“

Als alles gesagt ist und noch ein bisschen Plauderei über Osnabrück (wo Elgert ein kurzes Gastspiel beim VfL gab und seine Frau kennenlernte) und Westerkappeln (wo seine Familie lebt und er als Jugendlicher bei Westfalia kickte) oben drauf gekommen ist, steht er auf, verabschiedet sich mit festem Händedruck, schaut dem Gast in die Augen und sagt: „Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.“
Ein paar Tage später läuft ein Film-Klassiker, in den man gern noch mal reinschaut. „Der Club der toten Dichter“ erzählt die Geschichte eines Lehrers, der an einem amerikanischen Elite-Internat der fünfziger Jahre die Herzen der Schüler erreicht, weil er ihnen Freiheiten gibt, Werte vermittelt und sie auf ein selbstbestimmtes Leben vorbereitet; es ist eine der ganz großen Rollen von Robin Williams.
Und plötzlich ist da der Gedanke an Norbert Elgert, und man weiß, an wen er einen erinnert hat.

Vielen Dank an dieser Stelle an Harald Pistorius (Neue Osnabrücker Zeitung).